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Distressed M&A – mach aus der Not eine Tugend!

09/12/2020

Im zweiten und dritten Quartal 2020 wurden viele Transaktionen abgesagt oder unterbrochen, die nun nach und nach reaktiviert werden. Daneben gibt es derzeit eine Vielzahl an Einstiegsmöglichkeiten für Investoren. Geldgeber und Aktionäre sind zudem bereit, wegen der andauernden Unsicherheiten weitreichende Zugeständnisse zu machen.

Dort, wo Unternehmen coronabedingt mit Umsatzeinbußen zu kämpfen haben und vor echten Liquiditätsproblemen stehen, ergeben sich für Investoren neue Chancen. Auch im Zusammenhang mit dem Restrukturierungsrahmen, der demnächst in ganz Europa und ab 1. Januar 2021 in Deutschland zur Verfügung stehen wird (hier der Regierungsentwurf des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes), werden wir neue Formen von M&A-Transaktionen erleben.

Viele dieser Transaktionen sind dadurch gekennzeichnet, dass entweder der Verkäufer, der Käufer oder die Target-Gesellschaft ohne die Transaktion in Liquiditätsschwierigkeiten kommt. Man spricht dann von „Distressed M&A“. Spitzt sich diese Situation zu, hilft am Ende oft nur die Aufnahme von Investoren oder gar der Verkauf des Unternehmens.

Der Unterschied zwischen „distressed“ und „insolvent“

Im Rahmen einer solchen „Distressed M&A“-Transaktion ist es entscheidend, genau zu definieren, in welchem Stadium sich die an der Transaktion beteiligten Unternehmen befinden. Hier ist zwischen (Liquiditäts-)Krise und Insolvenzreife zu unterscheiden. Das Stadium der Krise ist der Insolvenzreife unmittelbar vorgelagert; die Liquiditätssituation der Gesellschaft hat sich bereits spürbar verschlechtert, wenngleich noch kein Insolvenzgrund vorliegt. Sobald sich aus Sicht der Geschäftsleitung eine Krise konkret abzeichnet, muss die finanzielle Situation überwacht werden, um eine eintretende Insolvenzreife rechtzeitig erkennen und entsprechend reagieren zu können.

Für „Distressed M&A“-Transaktionen bedeutet dies, dass die potenzielle Gefahr der Insolvenz immer über dem Deal schwebt. Die sich daraus ergebenden zahlreichen Haftungsrisiken beeinflussen maßgeblich die Verhandlungen und den für die Transaktion zur Verfügung stehenden Zeitrahmen.

Das Risiko der Insolvenzanfechtung

Einer der entscheidendsten Aspekte im Rahmen einer „Distressed M&A“-Transaktion ist die Vermeidung von Anfechtungsrisiken durch einen späteren Insolvenzverwalter. Diese können in drei Konstellationen relevant werden: Insolvenz des Käufers, Insolvenz des Verkäufers und Insolvenz des Targets. Während bei der Insolvenz des Käufers die Situation droht, dass der Kaufpreis zurückgezahlt werden muss, ohne dass die Sache, also „das Unternehmen“, zurückgewährt wird, müssen bei der Insolvenz des Verkäufers oder des Targets gegebenenfalls Assets oder Anteile zurückgewährt werden, ohne dass der Käufer den Kaufpreis zurückerhält.

Diesen Risiken kann insbesondere dadurch entgegengewirkt werden, dass bereits beim Signing eine „Fairness Opinion“, eine Stellungnahme eines neutralen Dritten über die Angemessenheit des Kaufpreises, eingeholt wird. Auch Gutachten über das Nichtvorliegen einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung oder über das Bestehen eines ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungskonzepts können das Anfechtungsrisiko minimieren.

Im Rahmen des Closings sollte sichergestellt werden, dass Erfüllung Zug um Zug erfolgt und der Kaufpreis im Zeitpunkt der Erfüllung noch immer angemessen ist. So können die Anforderungen an das sogenannte „Bargeschäftsprivileg“ (= unmittelbarer Austausch von gleichwertiger Leistung und Gegenleistung in engem zeitlichem Zusammenhang) eingehalten werden, was das Risiko der Anfechtung erheblich minimiert.

Geringfügige Lockerungen hiervon sieht das COVInsAG bei Transaktionen im Aussetzungszeitraum vom 1. März 2020 bis 31. Dezember 2020 vor, in dem sowohl Finanzierungen erleichtert als auch Insolvenzanfechtungen etwas erschwert werden.

Haftungsrisiken für Geschäftsführer

Sowohl für den Altgeschäftsführer (= bisheriger Geschäftsführer des zu verkaufenden Unternehmens) als auch für den Neugeschäftsführer (= neu bestellter Geschäftsführer nach dem Verkauf) besteht das Risiko, dass eine Insolvenzreife der Gesellschaft nicht rechtzeitig erkannt worden ist, was zur Verletzung der Insolvenzantragspflicht führen kann. Zur Beseitigung einer rechnerischen Überschuldung kommt es darauf an, dass für die betreffende Gesellschaft eine positive Fortbestehensprognose besteht. Der Altgeschäftsführer muss hierbei das neue Konzept des Erwerbers einbeziehen, während der Neugeschäftsführer ein eigenes tragfähiges Konzept erstellen muss.

Wurden die Insolvenzantragspflichten tatsächlich verletzt, kann dies eine straf- und zivilrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung nach sich ziehen. Dieser Haftung können sich die Altgeschäftsführer auch durch ihre Abberufung im Rahmen des Verkaufs des Unternehmens nicht entziehen.

Haftungsrisiken für Gesellschafter

Die Altgesellschafter (= Verkäufer) haben möglicherweise Haftungsrisiken aus vorheriger Finanzierung zu befürchten. Aus Sicht der Alt- und Neugesellschafter (= Käufer) ist die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs relevant. Diese kommt in Betracht, wenn durch die Transaktion der Gesellschaft Vermögen entzogen wird oder negatives Vermögen hinzukommt und dies ihre Existenz ernsthaft bedroht. Auch im Falle des Abschneidens der Versorgung mit Aufträgen oder Liquidität kann dieser Vorwurf des existenzvernichtenden Eingriffs begründet sein.

Spezialexpertise Distressed M&A

Gerade in Krisensituationen ist es entscheidend, unter hohem wirtschaftlichen und zeitlichen Druck als eingespieltes Team zu handeln. Bei CMS arbeiten daher M&A-Spezialisten mit transaktionsspezifischem Restrukturierungs-Know-how mit Experten aus anderen Geschäftsbereichen (vor allem Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Restrukturierung sowie Finanzierung und Steuern) eng zusammen.


Dieser Artikel ist Teil unserer Mandanteninformation "2021 - Themen, die Sie bewegen werden", welche Sie hier einsehen können.

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Dr. Michael Wangemann
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